10. September 2024

Austausch von Lohn- und Gehaltsdaten: Kartellrechtlicher Drahtseilakt für Arbeitgeber

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Eine Voruntersuchung des Sekretariats der Schweizerischen Wettbewerbskommission (WEKO) zum Informationsaustausch auf dem Schweizer Arbeitsmarkt hat ergeben, dass bei über 200 Grossunternehmen aus verschiedenen Branchen Anhaltspunkte für verdeckte Abreden über Löhne und Sozialleistungen von Arbeitnehmenden bestehen.

  • Martina Aepli

    Legal Partner
  • Luca Hitz

    Senior Legal Associate

Austausch von Lohn- und Gehaltsdaten: Kartellrechtlicher Drahtseilakt für Arbeitgeber 

Eine Voruntersuchung des Sekretariats der Schweizerischen Wettbewerbskommission (WEKO) zum Informationsaustausch auf dem Schweizer Arbeitsmarkt hat ergeben, dass bei über 200 Grossunternehmen aus verschiedenen Branchen Anhaltspunkte für verdeckte Abreden über Löhne und Sozialleistungen von Arbeitnehmenden bestehen. 

Hintergrund der Vorabklärung

Ausgelöst wurde die Voruntersuchung durch eine Bonusmeldung einer Schweizerischen Bank im August 2022, woraufhin weitere Finanzinstitute mit Selbstanzeigen nachzogen. Die beteiligten Unternehmen legten zunächst offen, dass sie gegenseitig detaillierte Informationen über Gehälter und Arbeitsbedingungen für Berufseinsteiger austauschten. Im weiteren Verlauf wurde die Untersuchung auf andere Sektoren und auf leitende Angestellte ausgeweitet. Im Rahmen der Voruntersuchung fand das Sekretariat der WEKO Hinweise darauf, dass Unternehmen in grossem Umfang Daten zu Mitarbeitervergütungen in regionalen, nationalen und internationalen Foren austauschten. Dieser Austausch umfasste eine Vielzahl von Informationen, darunter Informationen zu Gehältern, Arbeitszeiten, Boni, Urlaubsregelungen sowie Vereinbarungen betreffend Home-Office. In der Voruntersuchung der WEKO befasste diese sich sodann eingehend mit der Frage, ob der Arbeitsmarkt vom schweizerischen Kartellrecht (KG) erfasst wird.

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Kartellrecht gilt auch für Arbeitsmärkte 

In der Voruntersuchung argumentierten Branchenverbände, dass der Geltungsbereich des Kartellgesetzes Arbeitsmärkte grundsätzlich nicht erfasse. Das WEKO-Sekretariat wies diese Argumente jedoch zurück und kommt im Schlussbericht zum Fazit, dass der Arbeitsmarkt in den Anwendungsbereich des Kartellgesetzes fällt. Die Konsequenz davon ist, dass Absprachen zwischen Arbeitgebern über Vergütungen, anderweitige Leistungen oder Abwerbeverbote vom schweizerischen Wettbewerbsrecht erfasst und somit potenziell als wettbewerbswidrige Absprachen im Sinne des Kartellgesetzes zu qualifizieren sind.

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Das Sekretariat der WEKO anerkennt jedoch Ausnahmen. So werden beispielsweise Gesamtarbeitsverträge sowie Verträge zwischen Arbeitnehmenden nicht vom Geltungsbereich des Kartellgesetzes erfasst. 

Dies bedeutet, dass Arbeitnehmergewerkschaften und anderweitige Arbeitnehmervertretungen frei mit Arbeitgebern über Gehälter und Arbeitsbedingungen verhandeln und Gesamtarbeitsverträge abschliessen können. Analog zur „Albany-Ausnahme“ im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union erfasst das schweizerische Wettbewerbsrecht nicht den Informationsaustausch zwischen Arbeitgebern zwecks Tarifverhandlungen.

Die zweite wichtige Ausnahme gebührt den Besonderheiten des schweizerischen Berufsbildungssystems. Gemäss dem Sekretariat der WEKO ist zudem der Informationsaustausch sowie Vereinbarungen, die von nationalen Gremien nach dem Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG) getroffen werden, vom Anwendungsbereich des Kartellgesetzes ausgenommen.

Best Practice Guidelines 

Trotz der in der Voruntersuchung festgestellten Anhaltspunkte für einen weit verbreiteten Informationsaustausch über Gehälter und Beschäftigungsbedingungen zwischen Arbeitgebern hat die WEKO im vorliegenden Fall auf die Eröffnung einer formellen Untersuchung verzichtet. Dies begründet sie mit dem erheblichen Verfahrensaufwand und der langen Verfahrensdauer, die mit einer solchen Untersuchung verbunden wären. 

Um für mehr Rechtssicherheit auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen, plant die WEKO im Rahmen einer Marktbeobachtung in engem Austausch mit den verschiedenen Stakeholdern „Best-Practice“-Regeln für den Arbeitsmarkt zu erarbeiten. Ziel dieser Regeln ist es, den Unternehmen klare Leitlinien zu geben, welche Verhaltensweisen auf den Arbeitsmärkten vom Sekretariat der WEKO als kartellrechtlich zulässig bzw. unzulässig erachtet und somit in Zukunft verfolgen werden. Unser MME Wettbewerbsrechts- und Arbeitsrechtsteam wird diese Entwicklungen verfolgen und Sie auf dem Laufenden halten.

Der Schlussbericht des Sekretariats der WEKO kann unter folgendem Link abgerufen werden: Schlussbericht WEKO Sekretariat