Die Abrufung einer Bankgarantie durch eine begünstigte russische Gesellschaft ist offensichtlich rechtsmissbräuchlich und rechtfertigt ein provisorisches Zahlungsverbot, wenn die Leistung aufgrund der Sanktionen verboten ist.
Vor allem bei internationalen Geschäften wird sehr häufig auf die Bankgarantie als Sicherungsinstrument zurückgegriffen. Darunter ist die unwiderrufliche Verpflichtung einer Bank zu verstehen, eine bestimmte Geldsumme an einen Begünstigten zu bezahlen, sobald die in der jeweiligen Garantieklausel für das Entstehen der Zahlungspflicht festgelegten Bedingungen erfüllt sind.
Die Bankgarantie wird in der Regel in Form eines einseitigen Innominatkontraktes von der Bank direkt an den Begünstigten ausgestellt. Als selbständige Verpflichtung der Bank gegenüber dem Begünstigten, ist die Bankgarantie von dem Grundgeschäft, das sie sichern soll (in der Regel zwischen dem Hauptschuldner und dem Begünstigten), unabhängig. Mit anderen Worten hat die Bank, wenn die in der Garantieklausel festgelegten Bedingungen erfüllt sind, die Garantiesumme auf Verlangen des Garantienehmers auszubezahlen. Die Bank hat insbesondere nicht zu prüfen, ob eine Inanspruchnahme der Garantie nach dem Grundgeschäft gerechtfertigt ist und kann diesbezüglich keine Einwendungen oder Einreden geltend machen.
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Da die Bank sich nach Auszahlung der Bankgarantie umgehend beim Hauptschuldner schadlos hält, trägt Letzterer das Risiko, dass die Garantiesumme vom Begünstigten unter Umständen ungerechtfertigterweise abgerufen wird. In einem solchen Fall wäre es Sache des Hauptschuldners, den vom Begünstigten ungerechtfertigt in Anspruch genommenen Garantiebetrag gerichtlich gegen den Begünstigten durchzusetzen. Insofern gilt der Grundsatz: „erst zahlen, dann prozessieren“ (ZR 97/1998 Nr. 92, S. 227). Daraus ergibt sich das Bedürfnis, bereits gegen eine drohende ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Bankgarantie vorzugehen.
Wenn eine Partei eine Verletzung eines ihr zustehenden Anspruch befürchtet und glaubhaft machen kann, dass ihr aus der Verletzung ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht, kann sie bei Dringlichkeit beim zuständigen Gericht ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen stellen (Art. 261 Abs. 1 ZPO). Mit Bezug auf Bankgarantien kann der Hauptschuldner somit ein provisorisches Zahlungsverbot gegen die betreffende Bank erwirken, wenn er befürchtet, dass der Begünstige die Bankgarantie unberechtigterweise in Anspruch nehmen könnte und ihm dadurch ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht. Aufgrund der Abstraktheit der Bankgarantie werden entsprechende provisorische Zahlungsverbote bei Bankgarantien praxisgemäss jedoch nur mit grosser Zurückhaltung ausgesprochen.
Provisorische Zahlungsverbote können gemäss der Rechtsprechung nur erlassen werden, sofern glaubhaft erscheint, dass die Abrufung der Garantiesumme nicht bloss ungerechtfertigt, sondern offensichtlich rechtsmissbräuchlich erfolgt (ZR 97/1998 Nr. 92; ZR 111/2012 Nr. 69). Rechtsmissbrauch liegt dabei nur vor, wenn der Begünstigte – bei objektiver Wertung des gesamten Sachverhaltes – unter keinem vernünftigen in Betracht zu ziehenden Gesichtspunkt berechtigt sein kann, die Bankgarantie abzurufen (ZR 97/1998 Nr. 92, S. 227 m.w.H.).
In seinem vor kurzem veröffentlichten Urteil vom 25. Oktober 2023 (Geschäfts-Nr. HE230111-O) hatte das Handelsgericht des Kantons Zürich einen Fall zu beurteilen, wo die vom Hauptschuldner an den Begünstigten zu erbringenden Ingenieurdienstleistungen und Produktlieferungen mittels Bankgarantien abgesichert wurden, jedoch aufgrund der von der Schweiz gegen Russland verhängten Sanktionen nicht (mehr) erbracht werden durften. Das Handelsgericht des Kantons Zürich entschied dabei, dass die Inanspruchnahme der Bankgarantien in einem solchen Fall offensichtlich rechtsmissbräuchlich sei:
«Es ist demnach glaubhaft, dass die vertraglichen Verpflichtungen der Gesuchstellerin [«Hauptschuldner»] gegenwärtig ruhen und der C._____ [«Begünstigte»] keine Forderungen aufgrund eines Verzuges, einer Vertragsverletzungen wegen Nichterfüllung der Leistungen oder einer Rückabwicklung des Vertrages zustehen kann. Der Versuch, nichtsdestotrotz vertragliche Leistungen oder eine Rückabwicklung des Vertrages zu erwirken, ist unter den gegebenen Umständen als rechtsmissbräuchlich zu taxieren. In Anbetracht der vertraglichen Regelung ist es ebenfalls glaubhaft, dass dies für die Gesuchsgegnerin [«Bank»] offensichtlich ist.» (Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich HE230111-O vom 25. Oktober 2023 E. 4.2 S. 6.).
Das zitierte Urteil des Handelsgericht des Kantons Zürich ist eines der wenigen Urteile, in denen ein provisorisches Zahlungsverbot betreffend Bankgarantien ausgesprochen wurde. Es ist weiter interessant, dass das Handelsgericht in diesem Fall von der Glaubhaftmachung eines nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteils aufgrund der Schwierigkeiten bzw. Unmöglichkeit der Durchsetzung von Ansprüchen in Russland bzw. gegenüber einer russischen Gesellschaft in Anbetracht der «notorischen gegenwärtigen Situation» ausgegangen ist. Plakativ ausgedrückt lässt sich somit sagen: «Erst zahlen, dann prozessieren – ausser bei russischem Konnex».
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