Ein aktueller Bundesgerichtsentscheid befasst sich mit der Frage, ob und wie mit einem «Villenservitut» gebaut werden kann. Der folgende Artikel ordnet dieses Urteil ein.
In einem kürzlich vom Bundesgericht veröffentlichten Entscheid, BGer 5A_451/2022 vom 28. Dezember 2022, hatte sich die höchstrichterliche Instanz mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein bereits öffentlich-baurechtlich bewilligtes Neubauprojekt auf einem Grundstück, das mit einem sog. „Villenservitut“ belastet ist, auch aus zivilrechtlicher (dienstbarkeitsrechtlicher) Sicht gebaut werden darf. Dies wurde vorliegend bestätigt.
Immer wieder stehen im Grundbuch eingetragene (Grund-)Dienstbarkeiten einem baurechtlich bewilligten oder mindestens bewilligungsfähigen Bauprojekt entgegen und können dessen Umsetzung aufgrund zivilrechtlicher Verfahren und Streitigkeiten verzögern oder gar verunmöglichen. Häufig dabei anzutreffen sind sog. „Villenservitute“. Zweck solcher Baubeschränkungen sind beispielsweise die Sicherstellung einer einheitlichen, gehobenen Überbauung eines Quartiers. Nicht selten stammen diese Villenservitute aus alten Zeiten und stehen dem aktuellen Interesse an raumplanerischer Verdichtung diametral entgegen. Häufig können sich die betroffenen Grundeigentümer einigen, da sie nicht selten gleichzeitig sowohl belastet als auch von der Dienstbarkeit berechtigt sind. Verlaufen hingegen die Interessen der Parteien gegensätzlich, so hat häufig letztlich ein (Zivil-)Gericht darüber zu entscheiden, was wie gebaut werden darf.
Wie im vorliegenden Fall galt es zunächst herauszufinden, was gemäss Dienstbarkeit als „freistehende“ Ein- oder Zweifamilienvilla mit Garage galt. Die Vorinstanzen wie auch das Bundesgericht gingen zunächst davon aus, dass «freistehend» nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeute, dass ein Haus nicht mit einem anderen Haus zusammengebaut oder verbunden sein darf. Jedoch auch der Dienstbarkeitszweck ist bei der Auslegung dieses Begriffs heranzuziehen. Zudem ist auf die (bauliche) Struktur sowie die optische Erscheinung des Gebäudes zu achten. Beim vorliegend baulich-funktional getrennten und axialsymmetrisch gespiegelten Bauprojekt eines Doppelhauses handelt es sich nach Ansicht der Gerichte um ein freistehendes Gebäude. Die optisch-architektonische Einheit dieser zwei zusammengebauten Häuser unterschieden sich in der Gestalt nicht von einem (freistehenden) Einzelhaus.
Weiter stellte sich die Frage nach der Qualität einer Villa. Hierfür bedarf es nach Meinung der Gerichte ein freistehendes Gebäude, das von einer gewissen Grösse mit geringer Wohndichte ist, das vornehm und anspruchsvoll ist, das heisst sich durch seine Ausstattung und Gestaltung vor dem Gewöhnlichen auszeichnet, sowie eine gewisse individuelle Gestaltung aufweist, insbesondere keine Wiederholung eines verbreiteten Modells. Weiter zeichnen sich villenartige Gebäude dadurch aus, dass sie grosszügig und herrschaftlich sind. Auch der Garten einer Villa erfährt in der Regel einer einheitlichen, gehobenen Gestaltung und Pflege. Das vorliegende Projekt wies nach Ansicht der Gerichte die geforderte Villenqualität auch tatsächlich auf, weshalb die mit dem Villenservitut belasteten Grundeigentümer ihren geplanten Neubau realisieren durften.
Zusammenfassend lässt sich aus dem vorliegenden Fall festhalten, dass ein zusammengebautes Doppelhaus, das ein organisches Ganzes bildet und optisch wie ein Einzelhaus erscheint, als freistehend gelten kann. Wenn es sich zudem vom Gewöhnlichen durch Bau und Ausstattung von anderen Häusern abhebt, kann es als eine Villa gelten.
Für die Beurteilung von zukünftigen Fällen, was ein Villenservitut oder was ein freistehendes Haus ist, ist der vorliegende Entscheid nützlich. Dieser Entscheid macht jedoch auch deutlich, dass die konkreten Umstände des Einzelfalls massgeblich sind bei der Beurteilung eines Bauprojekts im Rahmen einer dienstbarkeitsrechtlichen Angelegenheit. Deshalb sollte jede Dienstbarkeit und jedes Bauprojekt für sich sorgfältig angeschaut und die rechtlichen Risiken und Chancen professionell beurteilt werden.