04. Oktober 2024

Belegenheitsort von Zahlungs-Token im Hilfskonkursverfahren

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Das Obergericht Zürich bestimmt in seinem Urteil vom November 2023 rechtsfortbildend die vollstreckungsrechtliche Belegenheit von Zahlungs-Token.

  • Dr. Dominik Vock

    Legal Partner
  • Nadira Zellweger-Ferhat

    Senior Legal Associate

Im Entscheid vom 23. November 2023 (PS230150) hatte sich das Obergericht des Kantons Zürich mit der Frage der Lokalisierung von Kryptowährungen (Zahlungs-Token) im Kontext von Art. 167 f. IPRG (Anerkennung ausländischer Konkursdekrete und sichernde Massnahmen) auseinanderzusetzen.

Zugrundeliegender Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer, Liquidatoren einer insolventen Holdinggesellschaft (C. Holdings) nach dem Recht der Cayman Islands, beantragten die Anerkennung eines ausländischen Konkursdekretes und machten dabei vor Obergericht insbesondere geltend, dass der indirekte Mehrheitsaktionär und Direktor der C. Holdings Ether der C. Holdings veruntreute. Diese Vermögenswerte hat er zuletzt auf ein Protokoll (nachfolgend «E.-Protokoll»), das von einer in Zürich ansässigen Aktiengesellschaft E. AG erstellt worden ist, transferiert (E. 3.2). Beim E.-Protokoll handle es sich um einen sogenannten Smart Contract auf der Ethereum-Blockchain, der es den Nutzern erlaube, Ether in einem sog. Collateral Pool als Sicherheit zu hinterlegen und dafür Darlehen in Form der Kryptowährung H. (ein sog. Stablecoin, dessen Wert an US-Dollar geknüpft ist) zu beziehen (E. 3.2). Die Beschwerdeführer argumentieren, dass die E. AG als Entwicklerin und Eigentümerin des E.-Protokolls weiterhin eine gewisse Kontrolle und die Verfügungsmacht über die veruntreuten Vermögenswerte ausübe und diese daher im Hilfskonkursverfahren zu admassieren seien. Zudem seien die Vermögenswerte im Sinne einer sichernden Massnahme zu blockieren (E. 3.2).

Die Vorinstanz verneinte die örtliche Zuständigkeit und wies die Anträge der Beschwerdeführer ab.

Gegen das Urteil der Vorinstanz erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde ans Obergericht.

Erwägungen des Obergerichts

Das Obergericht hält fest, dass vorliegend die Frage der Lokalisierung von Kryptowährungen im Kontext von Art. 167 f. IPRG zu klären sei, damit anschliessend festgestellt werden könne, ob die örtliche Zuständigkeit für die Anerkennung eines ausländischen Konkursdekretes und die Anordnung von sichernden Massnahmen gegeben sei (E. 3.5).

Das Obergericht erläutert zunächst verschiedene Begriffe, wie Kryptowährungen, Distributed Ledger-Technologie (DLT; insbesondere permissionless DLT-Systemen), Blockchain, Smart Contract, DeFi, (Zahlungs-)Token und Wallets (s. hierzu E. 4.1). In Bezug auf Zahlungstoken (Kryptowährungen im engeren Sinn) hält sich das Obergericht sodann an die herrschende Lehre, welche diese als rein faktische, immaterielle Vermögenswerte und nicht als Forderungen oder andere Rechte qualifiziert. Dies, weil Zahlungstoken, so das Obergericht weiter, eher mit Sachen als mit Forderungen vergleichbar seien (E. 4.2 und 4.3). Weil sich der Gesetzgeber bisher nicht mit der Lokalisierung von Zahlungstoken als immaterielle Vermögenswerte nach Art. 167 Abs. 1 IPRG befasst habe, sei die vollstreckungsrechtliche Belegenheit von Zahlungstoken rechtsfortbildend zu bestimmen (Art. 1 ZGB; E. 4.4).

Das Obergericht erwägt, dass unkörperliche Vermögenswerte, wie unter anderem Zahlungstoken, nicht real, sondern nur normativ, lokalisiert werden könnten. Die normative Lokalisierung habe sich am Sinn und Zweck der anzuwendenden Bestimmung auszurichten. Nach Art. 167 IPRG bestehe eine Zuständigkeit an einem Schweizer Gerichtsort für die Anerkennung von ausländischen Konkursdekreten, sofern an diesem Ort auf die Vermögenswerte, welche im Zuge des Hilfskonkursverfahren an die ausländische Konkursmasse ausgeliefert würden, zugegriffen werden könne. Gemäss Obergericht sei daher für die Belegenheit der Zahlungstoken auf eine faktische Zugriffsmöglichkeit abzustellen (E. 4.5).

Bestehe demnach in irgendeiner Form eine faktische Zugriffsmöglichkeit auf Zahlungstoken am Schweizer Gerichtsort, so sei eine zuständigkeitsbegründende Belegenheit von Zahlungstoken im Kontext von Art. 167 Abs. 1 IPRG zu bejahen. Wie und wer auf einen Zahlungstoken tatsächlich zugreifen kann, so das Obergericht, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei Distributed Ledger-Systeme einer laufenden wirtschaftlich-technischen Entwicklung unterworfen seien. Von einer abschliessenden Aufzählung der zuständigkeitsbegründenden Anknüpfungspunkte sei daher abzusehen, wobei namentlich Folgende – je nach technischer Ausgestaltung des Zahlungstokens bzw. des Distributed Ledger-Systems – in Betracht gezogen werden könnten (E. 4.6-4.7):

  • (Wohn-) Sitz des Private Key Inhabers, wie auch allenfalls dessen gewöhnlichen Aufenthaltsort oder der Lageort einer Hardware-Wallet;
  • Sitz einer bestimmten Instanz, die die Kontrolle über das System, auf welchem Zahlungstoken gehalten und übertragen werden, ausübt (was bei permissioned DLT der Fall sei, nicht hingegen bei permissionless Distributed Ledger-Systemen); oder
  • (Wohn-)Sitz eines Inhabers von Admin Keys, mit denen das Protokoll bzw. der Smart Contract kontrolliert werden kann.

Die Glaubhaftmachung der faktischen Zugriffsmöglichkeit müsse dabei genügen, so das Obergericht weiter (E. 4.8).

Vorliegend verneinte das Obergericht den Belegenheitsort der Zahlungstoken in der Schweiz mangels Glaubhaftmachung einer Kontroll-/Zugriffsmöglichkeit der E. AG (s. dazu E. 4.13-4.19).

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