11. Juni 2024

DAOs, Protokolle und Mehrwertsteuer

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In der Literatur wurde seit längerem der Ansatz diskutiert, dass «kybernetische», selbstverwaltete Blockchain-Systeme und DAOs als mehrwertsteuerlich relevante Subjekte qualifizieren können. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) folgt nun erstmals dieser Ansicht. Dezentrale Personengesamtheiten können demnach Leistungsempfänger oder Leistungserbringer für die Zwecke der Mehrwertsteuer sein.

Als Leistungsempfänger sowie Leistungserbringer kommen für die Mehrwertsteuer grundsätzlich alle «mehrwertsteuerlich relevanten Subjekte» in Betracht. Es handelt sich dabei um Subjekte, die mindestens theoretisch auch steuerpflichtig werden können. Dafür sind Rechtsform und Rechtsfähigkeit ausdrücklich nicht relevant. Massgebend ist nur, dass das Subjekt als solches nach aussen auftritt und somit unter eigenem Namen, d.h. erkennbar selbstständig und nicht etwa als Stellvertreter oder Hilfsperson einer anderen Person, Verpflichtungen gegenüber Leistungsempfänger sowie Leistungserbringer eingeht. Bei Gemeinschaften von mehreren Personen tritt dabei das Gesamtgebilde nach aussen auf und nicht die einzelnen Mitglieder. Dagegen ist die reine Innengesellschaft mangels Aussenauftritt nicht fähig, Steuersubjekt zu werden.

Gemäss früheren Auskünften der ESTV komme jedoch automatisierten Softwareprotokollen, welche lediglich vorprogrammierte Handlungen ausführen, keine Rechtssubjektivität zu. Dementsprechend seien diese auch keine Unternehmensträger im Sinne von Art. 10 Abs. 1 MWSTG und könnten daher auch keine Leistungserbringer oder Leistungsempfänger sein. Diese Auslegung wurde in der Literatur stark kritisiert. Die ESTV hat nun anscheinend ihre diesbezügliche Praxis überarbeitet und wie folgt angepasst:

Bei Leistungen an Blockchain- oder DTL-Protokolle ist in einem ersten Schritt der Leistungsempfänger zu bestimmen. Welche Partei in solchen Fällen als Leistungsempfänger für Zwecke der Mehrwertsteuer gilt, hängt unmittelbar davon ab, welcher Partei das Protokoll zuzurechnen ist bzw. welcher Partei die Verfügungsmacht über das Protokoll tatsächlich zusteht. Nur in den Fällen, in denen keine bestimmbare Partei die Verfügungsmacht über das betreffende Protokoll hat, geht die ESTV davon aus, dass mangels Bestimmbarkeit des Leistungsempfängers kein Leistungsverhältnis vorliegt. In einem solchen Fall qualifizieren die als Gegenleistung für die Leistungserbringung erhaltenen Geldflüsse als Nicht-Entgelte, welche der steuerpflichtige Leistungserbringer nicht mit der ESTV abzurechnen hat (vgl. MI 04, Ziff. 2.7.3.5).

Bei Protokollen, die von einer dezentralen Personengesamtheit (dezentrale autonome Organisation, DAO) kontrolliert werden (z.B., wenn mittels Governance-Funktion verbindlich über Protokolländerungen abgestimmt wird), geht die ESTV dagegen von einem bestimmbaren Leistungsempfänger aus. Das gleiche gilt bei Protokollen, die von einer einzigen anderen Person (natürliche Person, juristische Person oder Personengesamtheit) kontrolliert werden können. In diesen Fällen handelt es sich bei dem vom Protokoll für den Empfang der Leistung bezahlten Betrag nicht um ein Nicht-Entgelt, sondern um ein Entgelt für eine Dienstleistung, das je nach Art der Leistung mit der ESTV abzurechnen ist. Massgebend für die Beurteilung, ob die Vergütung für eine Leistung Entgelt oder Nicht-Entgelt ist, ist der Zeitpunkt der Leistungserbringung. Ob die Verfügungsmacht bei einer bestimmbaren Partei liegt, ist für jede Leistung im Zeitpunkt der Leistungserbringung neu zu prüfen.

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Für den Nachweis des Leistungsortes gelten die Grundsätze der Beweismittelfreiheit und der freien Beweiswürdigung. Aufgrund der Anonymität im Rahmen von Blockchain-Protokollen lässt die ESTV für die Bestimmung des Sitzes approximative Ermittlungen zu (z.B. anhand von IP-Adressen oder Länderabfragen im Rahmen des Votings). Unter der Voraussetzung, dass die steuerpflichtige Person glaubhaft machen kann, dass die Mehrheit der Token mutmasslich von Nutzern mit Sitz im Ausland gehalten werden, gilt eine allfällige Leistung an das Protokoll daher als im Ausland erbracht und unterliegt in der Folge nicht der Inlandsteuer (Art. 8 Abs. 1 MWSTG i.V.m. Art. 18 Abs. 1 MWSTG e contrario). Der Bezug von Leistungen aus dem Protokoll würden hingegen der Bezugsteuer unterliegen (Art. 45 ff. MWSTG).

Diese neue Auslegung ist sehr zu begrüssen, spiegelt sie doch die Realität in «kybernetischen», selbstverwalteten Blockchain-Systemen und DAOs gut wider. Diese können somit nach der heute geltenden Rechtslage ein mehrwertsteuerlich relevantes Subjekt darstellen und kommt daher als Leistungserbringer oder Leistungsempfänger in Betracht. Der gemeinsame Aussenauftritt reicht dafür aus. Rechtsform und Rechtsfähigkeit sind ausdrücklich nicht massgebend.