26. Juni 2024

Gewinnsteuerfolgen bei der Wiederbegebung eigner Aktien – Bundesgerichtsurteil vom 6. Juni 2024 (Urteil 9C_135/2023)

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In seinem Urteil vom 6. Juni 2024 (9C_135/2023) entschied das Bundesgericht, dass das Gewinnsteuerrecht keine Korrekturvorschrift enthält, nach der ein handelsrechtlich erfolgsneutral verbuchter Erlös aus der Wiederbegebung eigener Aktien aufgerechnet werden kann. Der Entscheid ergänzt die Rechtsprechung zu eigenen Aktien betreffend die Kapitalsteuer (Urteil vom 14. November 2019, 2C_119/2018) sowie die Mehrwertsteuer (Urteil vom 5. Oktober 2021, 2C_891/2020).

Hintergrund

Seit dem Inkrafttreten des revidierten Rechnungslegungsrechts 2013 sind eigene Aktien handelsrechtlich als Minusposten im Eigenkapital auszuweisen (Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. e OR). Rechnungslegungstechnisch kam es damit zu einem Paradigmenwechsel, wonach der Rückkauf eigener Aktien nicht länger als die Anschaffung eines Vermögenswerts qualifiziert, sondern als Kapitalherabsetzungsvorgang anzusehen ist.  

Dementsprechend ist nach überwiegender Auffassung der Differenzbetrag zwischen Ausgabepreis der eignen Aktien und den Anschaffungskosten – analog einer Kapitalerhöhung – erfolgsneutral im Eigenkapital zu erfassen.1  Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, dass neben der erfolgsneutralen Behandlung – im Sinne eines Wahlrechts – eine erfolgswirksame Verbuchung des Differenzbetrags zulässig ist.2

Die SSK vertritt bis anhin die Auffassung, dass es sich unabhängig von der handelsrechtlichen Behandlung bei eigenen Aktien um Vermögenswerte handle. Buchgewinne bzw. -verluste seien damit bei der Wiederbegebung steuerwirksam zu berücksichtigen.3

Betreffend die Kapitalsteuer hat das Bundesgericht dieser Auffassung bereits in seinem Urteil vom 14. November 2019 eine Absage erteilt (2C_119/2018). In dem Entscheid hielt das Bundesgericht fest, dass die handelsrechtliche Verbuchung für die Kapitalsteuer massgeblich ist. Somit führt das Halten eigener Aktien zu einer Reduzierung des steuerbaren Kapitals. Darüber hinaus hatte das Bundesgericht in seinem Urteil vom 5. Oktober 2021 Gelegenheit, zur mehrwertsteuerlichen Behandlung des Verkaufs eigener Aktien Stellung zu nehmen. Auch in diesem Entscheid folgt das Bundesgericht dem neuen Rechnungslegungsrecht und entschied, dass der Erwerb eigener Aktien mehrwertsteuerlich als Kapitalherabsetzungsvorgang zu betrachten und folglich der Erlös aus der Wiederbegebung dieser Aktien als Kapitalerhöhung zu qualifizieren ist.5

Bundesgerichtsentscheid vom 6. Juni 2024

In seinem Urteil vom 6. Juni 2024 befasste sich das Bundesgericht nun mit der Thematik der Gewinnsteuerfolgen der Wiederbegebung eigener Aktien. 

Im betreffenden Sachverhalt hat eine börsenkotierte Holdinggesellschaft mit Sitz im Kanton Zürich, («A AG») eigene Aktien erworben. Im Rahmen eines Mitarbeiterbeteiligungs-programms gab die A AG die eigenen Aktien nach rund drei Jahren Haltedauer an ihre Mitarbeiter ab. Der positive Differenzbetrag zwischen den Anschaffungskosten und dem Zuteilungswert verbuchte die A AG erfolgsneutral in die gesetzlichen Kapitalreserven und deklarierte dies entsprechend in der Steuererklärung. Das kantonale Steueramt Zürich beanstandete dieses Vorgehen im Rahmen einer Steuerprüfung und rechnete die positive Differenz zwischen den Anschaffungskosten und dem Zuteilungswert der eigenen Akten dem steuerbaren Gewinn hinzu. Nachdem der Einspruch der A AG sowie die Beschwerde beim Steuerrekursgericht erfolglos blieben, folgte das Verwaltungsgericht im Ergebnis der von der A AG vertretenen Auffassung und erteilte der Aufrechnung durch das kantonale Steueramt Zürich eine Absage. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich erhob die Eidgenössische Steuerverwaltung («ESTV») Klage beim Bundesgericht.

In ihrer Begründung verwies die ESTV als Beschwerdeführerin auf die SSK-Analyse zum neuen Rechnungslegungsrecht und brachte Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG als Korrekturnorm vor. Zudem wies die ESTV auf einen steuersystematischen Zusammenhang zwischen Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG einerseits und Art. 4a Abs. 2 VStG sowie Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG anderseits hin. Denn ohne eine Korrektur für Gewinnsteuerzwecke bestünde die Gefahr, dass es beim Rückkauf eigener Aktien und deren Wiederbegebung innert sechs Jahren weder zu einer Besteuerung des entsprechenden Erlöses auf Ebene des Anteilseigners (natürliche Person) noch der wiederbegebenden Gesellschaft komme. Im Ergebnis könnte damit eine Besteuerungslücke entstehen. Infolgedessen müsse Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG bei einer erfolgsneutralen Verbuchung die Durchbrechung des Massgeblichkeitsprinzips ermöglichen und den positiven Differenzbetrag zwischen Ausgabepreis und Anschaffungskosten der Besteuerung zu führen.7

Das Bundesgericht folgte dieser Auffassung nicht. Es hält fest, dass Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG schon deshalb nicht zur Anwendung kommen kann, weil durch die Wiederbegebung der eigenen Aktien kein «Ertrag» im Sinne des Art. 58 Abs.1 lit. c DBG entsteht. Weiter liege «handelsrechtlich mit Bezug auf die eigenen Aktien kein Vermögenswert vor, weshalb auch bei der Wiederbegebung eigener Beteiligungsrechte nicht von einem «Kapitalgewinn» gesprochen werden [könne]».8 Eine Besteuerung aufgrund des von der ESTV vorgebrachten steuersystematischen Zusammenhangs zwischen Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG einerseits und Art. 4a Abs. 2 VStG sowie Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG anderseits hält das Bundesgericht ebenfalls für zu schwach, als dass das Massgeblichkeitsprinzip durchbrochen werden könnte. Vielmehr handle es sich bei der Wiederbegebung der eigenen Aktien um einen nach Art. 60 lit. a DBG steuerneutralen Kapitaleinlagevorgang.9

Bedeutung des Entscheids für die Praxis und weiterer Ausblick

Mit dem vorliegenden Bundesgerichtsurteil dürfte die aktuelle Verwaltungspraxis betreffend die gewinnsteuerliche Behandlung eigener Aktien bei deren Wiederbegebung überholt sein. Vielmehr handelt es sich unabhängig von einer erfolgsneutralen oder erfolgswirksamen Verbuchung des positiven Differenzbetrags zwischen Ausgabepreis und Anschaffungskosten um einen steuerneutralen Kapitaleinlagevorgang.

 

 1. Vgl. Peter Böckli, OR-Rechnungslegung, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2019, 125 N. 470 und 223 N. 997; Lukas Handschin, in: ZK OR, Zürich 2016, Art. 659-659b, N. 147 f.; Markus Vischer, Kapitalerhöhung, Kapitalherabsetzung, insb. innerhalb des Kapitalbands, und der Erwerb und die Veräusserung eigener Aktien, SZW 2021, S. 321 ff., S. 326; so vorgesehen auch in IFRS, IAS 32.33 bzw. US GAAP 505-30-30-10).

2. Vgl. HWP III2.32.2, Rz. 640, resp. vormals HWP IV.2.30.3; Bertschinger, Die handelsrechtliche und steuerliche Gewinnermittlung unter dem revidierten Rechnungslegungsrecht, Bern 2020, S. 357; Robert Gutsehe in: Pfaff/Glanz/Stenz/Zihler [Hrsg.], Rechnungslegung nach Obligationenrecht, Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich 2019, Art. 959a N. 174; Markus Neuhaus/Rodolfo Gerber in: Honsell/Vogt/Watter [Hrsg.], BSK OR II, 5. Aufl., Basel 2016, Art. 959a N. 91.

3. Vgl. Analyse des Vorstandes SSK zum neuen Rechnungslegungsrecht, 12. Februar 2013, aktualisiert am 5. Februar 2020.

4. Vgl. SSK: Analyse des Vorstandes zum neuen Rechnungslegungsrecht (Version v. 26. November 2014).

5. Urteil 2C_891/2020, E. 3.3.2.

6. Vgl. Vgl. Analyse des Vorstandes SSK zum neuen Rechnungslegungsrecht, 12. Februar 2013, aktualisiert am 5. Februar 2020

7. Vgl. Urteil 9C_135/2023, E. 5.3 f.

8. Urteil 9C_135/2023, E. 5.3.

9. Vgl. Urteil 9C_135/2023, E. 6.