Die ESTV hat ihre Praxisanpassungen bei der Mehrwertsteuer zu Leistungen im Zusammenhang mit Blockchain- und Distributed Ledger-Technologie veröffentlicht.
Die Hauptabteilung Mehrwertsteuer der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV HA MWST) hat am 17. Juni 2019 ihre Praxisanpassungen bei der Mehrwertsteuer zu Leistungen im Zusammenhang mit Blockchain- und Distributed Ledger-Technologie veröffentlicht.
Die Anpassungen sind dabei unter den folgenden unterschiedlichen Publikationstiteln erfolgt:
Die publizierten Praxisanpassungen zu Leistungen im Zusammenhang mit Blockchain- und Distributed Ledger-Technologie haben im Vergleich zum überarbeiteten ersten Praxisentwurf vom 29. Januar 2019 zu Kryptowährungen einige wichtige und richtige Änderungen erfahren. Jedoch bilden sie aus unserer Sicht leider immer noch nicht vollständig die ökonomischen, buchhalterischen und kybernetischen, selbstverwalteten Aspekte eines dezentralen, öffentlichen Open-Source Blockchain-Systems ab. Diese müssten für die Rechtswirkung von Transaktionen auf der Blockchain berücksichtigt werden. Die Mehrwertsteuerbarkeit einer Token-Transaktion hängt nämlich stark davon ab, ob eine Synchronisation des Tokens mit relativen oder absoluten Rechten erfolgt oder nicht. Löst die Übertragung eines Tokens in einem kybernetischen System keine synchrone Übertragung eines unterliegenden Rechtsverhältnisses aus, so müsste die Transaktion für die MWST irrelevant sein.
Davon abzugrenzen sind Crowdfunding-Aktivitäten wie z.B. Initial Coin Offerings (ICOs), mit welchen Unternehmen finanzielle Mittel (in gesetzlicher Währung oder Kryptowährung) für ein bestimmtes unternehmerisches oder Open-Source-Vorhaben beschafft. Ein ICO besteht meist aus einem Strauss von vertraglichen oder faktischen Verpflichtungen, welche der Kapitalbeschaffer eingeht. Diese können mit der Token-Funktion zusammenhängen, aber auch unabhängig davon existieren. Erbringt der Kapitalbeschaffer zum Beispiel zusätzlich eine Dienstleistung (z.B. Fertigungsauftrag / Softwareentwicklung) oder eine Lieferung (z.B. Übertragung von Eigentum an einem Immaterialgüterrecht), so kann es sich – unabhängig von der Token-Funktion – um einen mehrwertsteuerlich relevanten Vorgang handeln.
Leider sind die publizierten Praxisanpassungen in diesen Bereichen unvollständig. Nachfolgend fassen wir die wichtigsten Punkte kurz zusammen.
Grundsätzlich sind gemäss ESTV HA MWST folgende drei Haupttypen von Kryptocoins/-token zu unterscheiden:
Die dargestellten Kategorien sind leider sehr einengend definiert, lassen die Doppelfunktion von DLT-basierten Tokens (d.h. immer bestehende technische Funktion, die möglicherweise synchronisiert ist mit einer rechtlichen Funktion) ausser Acht und weisen grosse Lücken auf. Es fehlen aus unserer Sicht Ausführungen zu «Native Tokens» und Tokens mit Gutschein-, Eigenkapital-, Fremdkapital- oder Anlagefonds-Charakter. Zudem sind Mischformen ungenügend abgedeckt.
Bei einem Initial Coin Offering (ICO), Token Generating Event (TGE), Initial Token Offering (ITO) oder Security Token Offering (STO) beschafft sich ein Unternehmen finanzielle Mittel (in gesetzlicher Währung oder Kryptowährung) für ein bestimmtes unternehmerisches oder Open-Source-Vorhaben. Den Geldgeber werden meist Blockchain-basierte Coins/Token, welche auf einer neu entwickelten Blockchain oder mittels eines digitalen, selbstausführenden Computerprogramms (sog. Smart Contract) auf einer bestehenden Blockchain generiert und dezentral gespeichert werden, zugeordnet. Dies kann Zug um Zug oder erst beim Start einer neuen Blockchain (sogenannter Genesis-Block) oder Applikation geschehen.
Die ESTV HA MWST qualifiziert ICOs in den Praxisanpassungen wie folgt:
Die konkrete Ausgestaltung eines ICOs (nachfolgend stellvertretend auch für TGEs und lTOs) sowie die auf diese Weise geschaffenen Coins/Token unterscheiden sich in technischer, funktionaler und rechtlicher Hinsicht substantiell. Im Zentrum steht jedoch meist die Kapitalbeschaffung für das Projekt. Im Gegenzug geht der Kapitalbeschaffer einen Strauss von vertraglichen oder faktischen Verpflichtungen ein, welche mit der Token-Funktion zusammenhängen, aber oft auch unabhängig davon existieren können. Die mehrwertsteuerliche Beurteilung eines ICOs hängt daher auch stark von der individuellen Ausgestaltung ab. Die jeweiligen steuerlichen Folgen sind im Einzelfall zu prüfen und können nur schwer allgemein gültig dargestellt werden.
Im Allgemeinen sollten unseres Erachtens die gleichen mehrwertsteuerlichen Regeln wie generell beim Crowdfunding Anwendung finden. Die enge Anknüpfung der MWST-Folgen an die Token-Qualifikation greift daher zu kurz.
Empfehlenswert wäre hier vor allem eine Anknüpfung an die buchhalterische Erfassung von ICOs gemäss der Q&A der Kommission für Rechnungslegung von ExpertSuisse (deutsch / französisch) gewesen, welche die folgenden Positionen publiziert hat (Stand 30.04.2019):
Beim Nachweis des Leistungsortes muss zudem dem dezentralen Charakter von DLT-basierten Systemen Rechnung getragen werden.
Die ESTV HA MWST unterscheidet zwischen Block-Reward und Transaktionsgebühr und knüpft unterschiedliche steuerliche Folgen an diese Qualifikation. Dies kann auch Auswirkungen auf die Vorsteuerabzugsberechtigung haben.
Der dezentrale Charakter von Blockchain-Protokollen ist auch beim Thema Mining / Staking nur ungenügend berücksichtigt. Eine Analyse der entsprechenden Steuerfolgen muss im Einzelfall vorgenommen werden.
Die Abrechnung ist in Landeswährung vorzunehmen. Der Leistungserbringer hat das Entgelt für stichtagsbezogene Leistungen gegen ein Entgelt in Kryptocoins/-token im Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts beziehungsweise der Rechnungsstellung (Art. 40 MWSTG) zum Tageskurs in eine gesetzliche (in- oder ausländische) Währung umzurechnen.
Die Rechnung hat gemäss ESTV HA MWST das Entgelt für die separat ausgewiesenen Leistungen und den nach Steuersätzen aufgeteilten Mehrwertsteuerbetrag in einer gesetzlichen Währung auszuweisen. Ein Ausweis des Entgelts einzelner Leistungen lediglich in Kryptocoins/-token stellt mehrwertsteuerrechtlich keine separate Fakturierung dar. Die Umrechnung kann anhand geeigneter Umrechnungsportale erfolgen, wobei die gewählte Umrechnungsquelle stetig beizubehalten ist. Für bestimmte Kryptocoins/-token publiziert die ESTV Tageskurse (Kurslisten der ESTV). Die Dokumentation der Umrechnung soll jederzeit leicht und unverzüglich überprüft werden können.
Diese Vorgehensweise ist auch für die Deklaration von der Bezugsteuer unterliegenden Leistungen (Art. 45 Abs. 1 MWSTG) anzuwenden. Weitere Informationen zur Bezugsteuer können der MWST-Info Bezugsteuer entnommen werden.
Erlittene Einbussen bei der Veräusserung von Kryptocoins/-token gegen gesetzliche Währung oder bei der Verwendung von Kryptocoins/-token zum Bezug von Leistungen dürfen vom Entgelt nicht abgezogen werden.
Ein „Verbot“ der Rechnungsstellung in Kryptowährung wiederspricht diametral der Qualifikation eines «Payment Tokens» als Tausch- und Zahlungsmittels. Sollte einem solchen Token eine Zahlungsfunktion zukommen, muss auch eine entsprechende Rechnungsstellung möglich sein. Alles andere erscheint praxisfremd.
Zudem ist z.B. BTC in mehreren Ländern bereits der gesetzlichen Landeswährung gleichgestellt, so dass ein Ausweis des Entgelts lediglich in BTC entsprechend zulässig sein müsste. Eine Gleichstellung mit ausländischen Währungen drängt sich daher auf.
Schliesslich zeigt Beispiel c) unter «2.4.5 Rechnungen in ausländischer Währung» die Schwierigkeiten in der Umsetzung geradezu plastisch auf: 2 Pizzas werden per 22. Mai 2019 für BTC 10'000 verkauft und ein Beleg für USD 30 ausgestellt, der für die MWST relevant sein soll. Es ist dabei nicht nachvollziehbar, wie die Umrechnung vorgenommen wurde. Bei einem realisierbaren BTC-Kurs von rund USD 8'000 per Rechnungsdatum wäre der Gegenwert von BTC 10’000 BTC nämlich rund USD 80 Mio. gewesen! Eine Rechnungsstellung mit USD 30 erscheint uns unter diesen Umständen nicht nur falsch, sondern auch latent kriminell. Das Beispiel ist demnach für die Praxis unbrauchbar und sollte angepasst werden.
Gerne unterstützen wir Sie bei der Analyse der möglichen Auswirkungen der Praxisanpassungen auf Ihr Geschäftsmodell. Treten Sie mit uns unverbindlich in Kontakt!