Wie können sich Schuldner aus Sicht des Schweizerischen Schuldbetreibungs- und Konkursrecht bei einem Liquiditätsengpass schützen?
Die Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung des neuartigen Coronavirus führt bei verschiedenen Unternehmen in der Schweiz zu Liquiditätsengpässen. In der Öffentlichkeit wurden schon verschiedene Massnahmen (Liquiditätshilfen) diskutiert, um solche Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Sie dienen letztlich dem Schuldnerschutz. In dieser Diskussion geht vergessen, dass auch das Schweizerische Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (nachfolgend: «SchKG») Bestimmungen enthält, um allfällige Liquiditätsengpässe zu überbrücken bzw. die Schuldner zu schützen.
So kann der Bundesrat oder mit seiner Zustimmung die Kantonsregierung im Fall einer Epidemie wie der vorliegenden, für ein bestimmtes Gebiet oder für bestimmte Teile der Bevölkerung den Rechtsstillstand beschliessen (Art. 62 SchKG). Diese Bestimmung kam während der Jahrhundertwende häufig zur Anwendung, zuletzt anlässlich der Überschwemmungen vom September 1993 im Kanton Wallis. Rechtsstillstand bedeutet, dass die Schulden einstweilen nicht zur Rückzahlung fällig werden. Der Gläubiger kann seine Forderungen gegenüber dem Schuldner nicht durchsetzen. Allfällige Zwangsvollstreckungsmassnahmen gegen den Schuldner wären nichtig. Zwar liegt ein solcher Rechtsstillstand im Interesse des Schuldners, weil er vorübergehend den Liquiditätsengpass des Schuldners überbrückt. Zu beachten ist aber, dass er den Gläubiger benachteiligt, denn dieser könnte durch den Rechtsstillstand selbst in einen Liquiditätsengpass geraten, weil er seine berechtigten Forderungen nicht mehr durchsetzen kann. Nachteil eines Rechtsstillstandes ist auch, dass niemand mehr seine Rechnungen bezahlt.
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 18. März 2020 angeordnet, dass vom 19. März 2020 bis und mit 4. April 2020 Schuldnerinnen und Schuldnern in der ganzen Schweiz nicht betrieben werden dürfen. Dies ist ein Rechtsstillstand im Betreibungswesen, der sich auf Art. 62 SchKG stützt. Damit sollen Schweizer Unternehmen in diesem Bereich eine gewisse Entlastung erfahren. Der Rechtsstillstand gilt vom 19. März 2020 um 7 Uhr bis am 4. April 2020 Mitternacht. Direkt im Anschluss beginnen die gesetzlichen Betreibungsferien. Diese haben die gleichen Wirkungen und dauern bis am 19. April 2020. Der Bundesrat reagiert mit dem Rechtsstillstand auf den Umstand, dass durch die ausserordentlichen Massnahmen, namentlich durch die Schliessung von Restaurants und Geschäften, zahlreiche Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten geraten werden. Die Anordnung des Rechtsstillstands bringt hier eine gewisse Entlastung. Wie bereits oben dargestellt, ist der Rechtsstillstand aber kein geeignetes Instrument, um diesen Schwierigkeiten langfristig zu begegnen. Der Bundesrat hat den Rechtsstillstand deshalb richtigerweise befristet.
Eine weitere Hilfe, die das SchKG anbietet ist die Notstundung: Ein Schuldner, der ohne sein Verschulden infolge ausserordentlicher Verhältnisse ausserstande ist, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, kann vom Nachlassrichter eine Notstundung von höchstens sechs Monaten verlangen, sofern die Aussicht besteht, dass er nach Ablauf dieser Stundung seine Gläubiger voll wird befriedigen können. Die Voraussetzungen für eine Notstundung dürften bei den meisten Schuldnern heute erfüllt sein.
Während der Dauer der Notstundung können Betreibungen gegen den Schuldner angehoben und bis zur Pfändung oder Konkursandrohung fortgesetzt werden. Dagegen darf einem Verwertungs- oder einem Konkursbegehren keine Folge gegeben werden. Dem Schuldner ist die Fortführung seines Geschäftes gestattet; doch darf er während der Dauer der Stundung keine Rechtshandlungen vornehmen, durch welche die Gläubigerinteressen beeinträchtigt oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer begünstigt werden.
Der Schuldner ist somit vor dem Zugriff der Gläubiger nur beschränkt geschützt. Gegen den Schuldner kann Betreibung erhoben werden und es kann auch gepfändet werden. Ein weiterer Nachteil der Notstundung ist, dass der Schuldner nach Ablauf der Notstundung während sechs Monaten keine Nachlassstundung verlangen kann. Er kann sich somit während sechs Monaten nicht mehr vor einem Zugriff der Gläubiger wehren. Deshalb ist fraglich, ob die Notstundung für Schuldner wirklich hilfreich ist.
Neben einem Rechtsstillstand, wie es der Bundesrat am 18. März 2020 angeordnet hatte, dürfte der Schuldnerschutz in einem Nachlassverfahren gemäss Art. 293 ff. SchKG am grössten sein. Der Schuldner kann beim zuständigen Nachlassgericht ein Nachlassverfahren einleiten. In diesem Verfahren wird der Abschluss eines Nachlassvertrages angestrebt, wobei eine Nachlassstundung vorangeht. Während der Stundungsphase überwacht der Sachwalter die Geschäftstätigkeit des Schuldners und schafft zuhanden der Gläubiger und des Nachlassrichters die Entscheidungsgrundlagen für das Zustandekommen und die Bestätigung des Nachlassvertrages. Die Nachlassstundung dient somit der Vorbereitung für den Abschluss des Nachlassvertrages bzw. der Sanierung. Der ordentliche Nachlassvertrag (Stundungsvergleich oder Prozent- bzw. Dividendenvergleich) ermöglicht die weitere Existenz des Schuldners in der bisherigen Form. Mit dem Stundungsvergleich bietet der Schuldner seinen Gläubigern die vollständige Tilgung ihrer Forderungen nach einem bestimmten Zeitplan an. Der Prozent- oder Dividendenvergleich beinhaltet nur noch einen Teil der Forderungen im gleichen Verhältnis für alle Gläubiger und auf Erlass des Restes. Demgegenüber lässt der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (Liquidationsvergleich) zwar die Möglichkeit offen, das Unternehmen ganz oder in seinen wesentlichen Teilen zu erhalten (z.B. in einer Auffanggesellschaft), führt im Übrigen aber zur Liquidation des schuldnerischen Vermögens bzw. des schuldnerischen Unternehmens.
Nach Verfahrenseinleitung wird dem Schuldner zunächst die provisorische Nachlassstundung für die Dauer von maximal 4 Monaten bewilligt. Die Nachlassstundung gewährt dem Schuldner Schutz vor dem rechtlichen Zugriff seiner Gläubiger, beschränkt aber seine Verfügungsbefugnis über dessen Vermögen und ermöglicht die Vorbereitung der Sanierung bzw. allenfalls der Liquidation. Insbesondere kann während der Nachlassstundung ein vom Schuldner betriebenes Unternehmen grundsätzlich weitergeführt werden, was regelmässig Voraussetzung für das Gelingen einer Sanierung ist. Ergibt sich während der provisorischen Stundung, dass Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrages besteht, so bewilligt das Nachlassgericht die Stundung definitiv für weitere vier bis sechs Monate. Es entscheidet von Amtes wegen vor Ablauf der provisorischen Stundung. Die definitive Nachlassstundung kann bei komplexen Fällen bis auf höchstens 24 Monate verlängert werden.
In Bezug auf den Schuldnerschutz hat die Nachlassstundung die ähnlichen Wirkungen wie der vom Bundesrat angeordnete Rechtsstillstand. Während der Nachlassstundung kann gegen den Schuldner eine Betreibung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden. Die provisorische bzw. nachfolgende definitive Nachlassstundung hat aber den Vorteil, dass sie maximal 28 Monate dauern kann. Dies gibt dem Schuldner genügend Zeit, um seinen Liquiditätsengpass zu beheben. Sollte sich die Wirtschaft nach der Corona Krise wieder erholen, besteht die grosse Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner seine Gläubiger im Rahmen eines Stundungsvergleichs vollständig befriedigen kann.
Ein Nachlassverfahren schützt somit den Schuldner am besten. Nachteil ist aber, dass die Verfügungsbefugnis des Schuldners über dessen Vermögen beschränkt wird. Er wird von einem Sachwalter überwacht. Damit werden die Gläubigerinteressen gewahrt.