Ein Überblick zum Thema Überstunden und Überzeit. Der Fokus liegt auf der Analyse der jüngsten Rechtsprechung in Bezug auf leitende Angestellte.
In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, unter welchen Voraussetzungen zu viel geleistete Arbeitsstunden abzugelten oder durch Freizeit auszugleichen sind. Um diese Frage beantworten zu können, ist zunächst eine Unterscheidung zwischen Überstunden und Überzeit vorzunehmen.
Bei Überstunden geht es um die Überschreitung der vereinbarten Arbeitszeit (wir berichten: Arbeitszeit – eine klare Sache?), der sog. Normalarbeitszeit (Art. 321c Abs. 3 OR). Es liegt grundsätzlich in der Autonomie der Parteien zu bestimmen, welche Arbeitszeit vertraglich geschuldet ist, wobei für eine Vollzeitstelle in der Regel 40 oder 42 Stunden vereinbart werden (8 bzw. 8.24 Stunden pro Arbeitstag).Demgegenüber gilt nach Art. 13 Arbeitsgesetz (ArG) diejenige Arbeitszeit als Überzeit, welche über die gesetzliche Höchstarbeitszeit hinausgeht. Dabei beträgt die wöchentliche Höchstarbeitszeit für die meisten Angestellten 45 oder 50 Stunden. Dem Büropersonal sowie den technischen und andern Angestellten, mit Einschluss des Verkaufspersonals in Grossbetrieben des Detailhandels gilt dies jedoch nur für Überzeitarbeit, die 60 Stunden im Kalenderjahr übersteigt.
Die Unterscheidung zwischen Überstunden und Überzeit ist v.a. massgebend, weil für die durch öffentliches Recht definierte Überzeit strengere Vorschriften in Bezug auf Entlöhnung bzw. Kompensation bestehen:
Überstunden sind grundsätzlich mit einem Zuschlag von mindestens einem Viertel des Normallohnes zu entschädigen oder können bei Zustimmung der Arbeitgeberin alternativ durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer ausgeglichen werden.
Es ist möglich, sowohl den Zuschlag als auch die Entschädigung als solche schriftlich auszuschliessen, d.h. mit dem ordentlichen Lohn abzugelten.
Überzeitarbeit muss ebenfalls mit einem Lohnzuschlag von mindestens einem Viertel entschädigt werden, falls sie nicht innert einer bestimmten Frist durch Freizeit ausgeglichen wird.
Dabei handelt es sich um eine zwingende Vorschrift, die jede abweichende Vereinbarung ausschliesst.
Was gilt für Kader?
Bei Kadermitglieder ist die Arbeitszeit meistens nicht exakt nach Stunden definiert. Es wird vermutet, dass die Leistung eines höheren Pensums durch den höheren Lohn abgegolten wird. Wegleitend ist die Überlegung, dass mit der Übernahme einer leitenden Funktion der Umfang und das Gewicht der von den Angestellten zu erfüllenden Aufgaben die Gegenleistung des Arbeitgebers in bedeutenderem Masse bestimmen als die wöchentliche Arbeitszeit und leitende Angestellte ihrer verantwortungsvollen und selbständigen Stellung entsprechend die Arbeitszeit weitgehend frei einteilen können.
Leitende Angestellte haben deshalb ohne ausdrückliche Regelung der Arbeitszeit nur dann einen Anspruch auf Entschädigung ihrer Überstunden,
Die Schwelle, um vom Überzeitschutz des Arbeitsgesetzes ausgenommen zu werden, ist dagegen höher. Nicht für jede Person, die Führungsaufgaben innerhalb eines Unternehmens übernimmt, entfällt der Anspruch auf Entlöhnung von Überzeit. Vielmehr ist hierfür eine «höhere leitende Tätigkeit» notwendig (Art. 3 lit. d ArG). Eine höhere leitende Tätigkeit übt gemäss der Art. 9 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz nur aus, wer auf Grund seiner Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des Betriebes
Im jüngst ergangenen Urteil 4A_38/2020 vom 28. Juli 2020 hatte das Bundesgericht zu beurteilen, ob einem Trader, der bei einer GmbH nicht nur angestellt, sondern auch Teilhaber war, eine solche Stellung als höherer leitender Angestellter zukam:
Der abgehandelte Fall zeigt anschaulich, dass für ein Unternehmen mitunter unklar sein kann, welchen Angestellten eine Entschädigung oder Kompensation aufgrund Überstunden und Überzeit geschuldet ist. In der Regel wird für eine (höhere) leitende Stellung gefordert, dass die Kaderperson einer Vielzahl Angestellten übergeordnet ist. Indessen verbietet es sich, Pauschalkategorien vorzunehmen. Das höchste Gericht erachtete das Kriterium der Weisungsbefugnis in diesem speziellen Fall denn auch nicht als ausschlaggebend, da ein überblickbarer Zusammenschluss gleichgestellter Trader zu beurteilen war, welche die Ausgestaltung ihrer GmbH als Arbeitgeberin selbst bestimmten.
Wir raten zu Vorsicht: Wird eine Arbeitnehmerin in einer Vertragsklausel als (höhere) leitende Angestellte qualifiziert, bedeutet dies noch nicht, dass ein Gericht diesen Rechtsstandpunkt in einem Streitfall teilt. Arbeitgeber werden auch in Zukunft nicht ohne Weiteres Klarheit haben. Denn die Entscheidungsbefugnisse aufgrund der Stellung und Verantwortung im Betrieb sind je nach Grösse und Organisation des Unternehmens unterschiedlich zu werten.
Für eine zuverlässige rechtliche Einschätzung ist jedes Unternehmen gesondert zu beleuchten und die konkreten Umstände der einzelnen Kadermitglieder einer separaten Gesamtwürdigung zu unterziehen. Gerne nehmen wir solche Einzelfallprüfungen vor oder beantworten auch andere Rechtsfragen zu Überstunden sowie Überzeit, die sich in Ihrem Unternehmen stellen.