21. August 2024

Wie geht es nach dem Erhalt eines erstinstanzlichen Gerichtsurteils weiter?

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Nach einem zivilrechtlichen Urteil laufen Rechtsmittelfristen. Ob man das Urteil anfechtet, hängt von Erfolgsaussichten, Kosten und persönlichen Motiven ab. Dieser Magazinbeitrag gibt einen groben Überblick.

  • Martina Aepli

    Legal Partner
  • Stefan Keller

    Senior Legal Associate

Fristen

Rechtsmittel können nur innerhalb der gesetzlichen Rechtsmittelfristen eingelegt werden. Die Frist für die Einreichung einer Berufung oder einer Beschwerde beträgt grundsätzlich 30 Tage. Im summarischen Verfahren ist diese Frist auf 10 Tage verkürzt, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Frist beginnt mit Zustellung des Urteils beim Empfänger (und nicht bereits mit der Urteilsfällung) zu laufen. Folgende Besonderheiten sind zu beachten:

  • Die Rechtsmittelfrist beginnt am Tag nach der Urteilsfällung zu laufen, auch wenn es sich um einen Wochenend- oder Feiertag handelt.
  • Fällt das Ende der Frist auf einen Wochenend- oder Feiertag, verlängert sich die Frist auf den nächsten Werktag.
  • Durch Gerichtsferien (während Weihnachten, Ostern und im Sommer) wird der Fristenlauf unterbrochen.
  • Die Rechtsmittelfrist ist nicht erstreckbar.
  • Die Rechtsmittelfrist ist eingehalten, wenn das Rechtsmittel am letzten Tag der Frist an die Schweizerische Post aufgegeben wird (bzw. wenn eine gültige elektronische Eingabe erfolgt, wobei eine normale Zustellung per E-Mail nicht als elektronische Eingabe gilt).
  • Wird ein erstinstanzliches Urteil zunächst ohne Begründung zugestellt, muss als erster Schritt vom Gericht innert Frist eine Begründung verlangt werden. Erst mit Erhalt der Begründung beginnt die Rechtsmittelfrist zu laufen.

Die genaue Rechtsmittelfrist ergibt sich aus dem Gesetz. Diese muss vom Gericht in der Rechtsmittelbelehrung genannt werden. Wird innert Frist das Rechtsmittel nicht gültig eingelegt, wird das Urteil rechtskräftig und kann, bis auf wenige Ausnahmen (vgl. dazu nachfolgend), nicht mehr angefochten werden.


Rechtsmittelinstanzen

In der zivilrechtlichen Rechtspflege sind grundsätzlich stets zwei kantonale Instanzen vorgesehen, bevor das Bundesgericht mit Beschwerde angerufen werden kann. Dies bedeutet, dass in der Regel gegen ein erstinstanzliches Urteil zunächst Berufung oder Beschwerde an die obere kantonale Instanz (z.B. ZH, ZG, BE: Obergericht; SZ, SG: Kantonsgericht) eingelegt werden kann. Gegen das Urteil dieser zweiten Instanz kann Beschwerde an das Bundesgericht eingelegt werden, sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.

Ausnahmen stellen hier Klagen vor dem Handelsgericht dar (sofern ein solches kantonal vorgesehen ist, was aktuell in den Kantonen ZH, AG, SG und BE der Fall ist) und Klagen mit einem Streitwert von mindestens CHF 100‘000, die mit Zustimmung aller Parteien, direkt beim obersten kantonalen Gericht hängig gemacht werden können. Für gewisse Rechtsstreitigkeiten, die einer besonderen Fachexpertise bedürfen, sieht das Gesetz ebenfalls nur eine einzige kantonale Instanz vor (z.B. Patentstreitigkeiten, kartellrechtliche Streitigkeiten oder Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung). In diesem Fällen besteht keine Anfechtungsmöglichkeit auf kantonaler Ebene, sondern es ist einzig die Beschwerde an das Bundesgericht möglich.


Vor
Eintritt der Rechtskraft: Rechtsmittel

Das Rechtsmittel der Berufung ist zulässig gegen alle End- und Zwischenentscheide der ersten Instanz, ebenso wie gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen. Mit der Berufung können die unrichtige Rechtsanwendung und unrichtige Feststellung des Sachverhalts als Berufungsgründe angeführt werden. Neue Anträge, Tatsachen und Beweismittel sind unter gewissen (eingeschränkten) Voraussetzungen noch möglich. In vermögensrechtlichen Angelegenheiten muss der Streitwert über CHF 10‘000 liegen. Die Berufung schiebt in der Regel die Wirkungen des angefochtenen Urteils auf, bis ein neuer Entscheid der Rechtsmittelinstanz vorliegt (Ausnahmen: vorsorgliche Massnahmen und Gegendarstellungsrecht). Auf Antrag einer Partei kann das Gericht in begründeten Einzelfällen von dieser gesetzlichen Regelung abweichen. Sofern die Gegenpartei keine Berufung oder Anschlussberufung einlegt, kann die Rechtsmittelinstanz die Partei, welche das Rechtsmittel einlegt, nicht schlechter stellen (sog. Verbot der reformatio in peius). Die Rechtsmittelinstanz entscheidet in der Regel in der Sache neu und weist das Verfahren nur in Ausnahmefällen an die Vorinstanz zurück.

Mit dem Rechtsmittel der (kantonalen) Beschwerde können nur Urteile angefochten werden, die nicht berufungsfähig sind, sowie andere erstinstanzliche Entscheide und prozessleitende Verfügungen. Bei der Beschwerde kann die Feststellung des Sachverhalts nur eingeschränkt gerügt werden, und zwar dann, wenn diese willkürlich erfolgte. Mit der Beschwerde werden primär Rechtsverletzungen gerügt, die von der Beschwerdeinstanz uneingeschränkt überprüft werden können. Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind ausgeschlossen. Die Beschwerde hemmt die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit des angefochtenen Entscheids in der Regel nicht. Bei Gutheissung der Beschwerde kann eine Rückweisung an die Vorinstanz erfolgen, welche neu zu entscheiden hat oder die Beschwerdeinstanz kann selbst in der Sache entscheiden.

Entscheide der oberen kantonalen Instanz können unter gewissen Voraussetzungen mit Beschwerde ans Bundesgericht weitergezogen werden. In vermögensrechtlichen Streitigkeiten wird für eine Beschwerde in Zivilsachen vorausgesetzt, dass der Streitwert mindestens CHF 30’000 beträgt. Eine Ausnahme bildet das Arbeits- und Mietrecht, wo ein Streitwert von CHF 15’000 genügt. Unabhängig vom Streitwert beurteilt das Bundesgericht alle Fälle, in denen sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Mit der Beschwerde in Zivilsachen können ausserdem Entscheide in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen angefochten werden. Der Beschwerde in Zivilsachen kommt in aller Regel keine aufschiebende Wirkung zu, so dass beschwerdefähige Entscheide mit deren Ausfällung rechtskräftig und vollstreckbar werden. Grundsätzlich ist im Rahmen einer Beschwerde in Zivilsachen keine Überprüfung von Sachverhaltsfeststellungen mehr möglich, ausser sie sind offensichtlich unrichtig. Der Fokus liegt auf der Prüfung von Verletzungen von Bundesrecht, Völkerrecht, kantonalem Verfassungsrecht und interkantonalem Recht.


Nach Eintritt der Rechtskraft: Rechtsmittel und Rechtsbehelfe

Nach Eintritt der Rechtskraft kommt nur noch das Rechtsmittel der Revision in Frage. Die Hürden dafür sind hoch. Eine Revision ist nur in bestimmten Fällen zulässig, z.B. wenn neue entscheidrelevante Tatsachen oder Beweismittel auftauchen, die bereits während des Prozesses bestanden, damals aber (objektiv) nicht vorgebracht werden konnten. Auch bei einer entscheidrelevanten strafbaren Handlung (z.B. Beweisabnahme einer gefälschten Urkunde) ist die Revision zulässig. Das Gesuch um Revision muss innert 90 Tagen seit Kenntnis des Revisionsgrunds eingereicht werden. Bis auf die Revision aufgrund einer entscheidrelevanten strafbaren Handlung, gilt zudem eine absolute Frist von 10 Jahren ab Rechtskraft des Urteils.

Die Rechtsbehelfe der Erläuterung und Berichtigung führen nicht zu einer Änderung, sondern nur zu einer Präzisierung des Urteils. Klassisches Beispiel sind offensichtliche Rechenfehler, die vom Gericht von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei berichtigt werden. Für die Rechtsbehelfe der Erläuterung und Berichtigung gelten keine Fristen.

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