16. August 2023

Arbeitgeberstellung im Konzern

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Die mangelhafte Regelung des Konzernrechts in der Schweiz wirft aus arbeitsrechtlicher Perspektive zahlreiche Fragen auf: Wer kann dem Arbeitnehmer Weisungen erteilen? Gegenüber welcher Gesellschaft besteht eine Treuepflicht? Wer muss eine allfällige Kündigung aussprechen? Antworten dazu finden Sie im nachfolgenden Beitrag.

  • Michèle Stutz

    Legal Partner

In den letzten Jahren organisierte sich eine stetig steigende Zahl von Unternehmen in Konzernstrukturen, wobei gleichzeitig auch die Mobilität der einzelnen Arbeitnehmenden stark zunahm.[1] Diese Entwicklung steht im Kontrast zu den fehlenden umfassenden einheitlich kodifizierten Regelungen im Bereich des Konzernrechts in der Schweiz. Bis heute existieren in der Schweiz lediglich punktuelle Regelungen, welche den Konzern zum Inhalt haben.[2] Die rechtliche Selbständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften und die gleichzeitig mangelnde Rechtspersönlichkeit des Konzerns als Ganzes sind bei der Redaktion von Arbeitsverträgen zu beachten.[3] So stellen sich unter anderem die Fragen, wer in einem Konzern die Arbeitgeberstellung innehat und damit verbunden die Folgefragen, wem der Arbeitnehmer die arbeitsvertragliche Treuepflicht schuldet, wer verbindliche Weisungen erteilen darf und wer rechtsgültig eine Kündigung aussprechen kann.

Was ist ein Konzern?

Aufgrund der fehlenden Kodifikationen im Bereich des Konzernrechts in der Schweiz existiert grundsätzlich keine einheitliche rechtliche Definition des Begriffs «Konzern». Die Lehre hat aber folgende Definition entwickelt: Von einem Konzern ist dann die Rede, wenn eine Mehrzahl selbständiger Unternehmen (in der Praxis oftmals Aktiengesellschaften) unter einheitlicher Leitung zusammengefasst wird zum Zweck der Bildung einer wirtschaftlichen Einheit.[4] Dieser Definition hat sich auch das Bundesgericht angeschlossen.[5] In diese Richtung geht auch die Definition unter Art. 963 Abs. 1 OR, welche im Zusammenhang mit der Pflicht zur Erstellung der Konzernrechnung von der Kontrolle einer rechnungslegungspflichtigen juristischen Person über eine oder mehrere anderen solchen Unternehmen spricht. 

Die Konzernstruktur ist ein lebendiges Gebilde, welches aus mehreren selbstständigen juristischen Gesellschaften besteht, die operativ tätig sein können und damit auch mit Humankapital arbeiten. Die einzelnen Mitarbeiter können bei Umstrukturierungen innerhalb des Konzerns von einer Gesellschaft zur anderen versetzt werden, was keine Seltenheit in der Praxis darstellt. Dabei sind häufig auch Auslandeinsätze bzw. Entsendungen sowie der Personalverleih ein Thema (vgl. dazu unseren früheren Magazinbeitrag: Praxisänderung des SECO betreffend den Personalverleih im Konzern (mme.ch).

Wer hat die Arbeitgeberstellung?

Der Arbeitgeber ist grundsätzlich diejenige Person, die das Recht hat, vom Arbeitnehmer Leistungen zu verlangen und entsprechend auch gegenüber dem Arbeitnehmer verpflichtet ist.[6] Ein Arbeitgeber kann als natürliche oder juristische Person sowie als Personenmehrheit auftreten. Der Arbeitgeberstellung kommt dementsprechend eine zentrale Bedeutung zu. Sie regelt, wem im Falle eines Prozesses die Aktiv- und Passivlegitimation zu kommt und ohne Bestimmung der Arbeitgeberstellung lassen sich keine gegenseitigen Rechte und Pflichten feststellen.[7]

Aufgrund der fehlenden Rechtspersönlichkeit kann ein Konzern in der Regel keine Arbeitgeberstellung innehaben und auch nicht Partei des Arbeitsvertrages sein. Daher kommt die Arbeitgeberstellung jeweils einer einzelnen Konzerngesellschaft oder mehreren einzelnen Konzerngesellschaften zu. [8]

In der Praxis besteht meist nur mit einer Konzerngesellschaft eine arbeitsvertragliche Beziehung. Aufgrund von konzerninternen Verflechtungen wird der Arbeitnehmer aber teilweise innerhalb des Konzerns in einer anderen Gesellschaft eingesetzt als derjenigen, mit welcher der Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde. Bei einer derartigen Abweichung des Tätigkeits- vom Vertragsunternehmen gibt es verschiedene Möglichkeiten zur rechtlichen Ausgestaltung: Es kann sich dabei um einen Fall eines (bewilligungspflichtigen) konzerninternen Personalverleihs handeln.

Umstrukturierungen innerhalb des Konzerns können du Veränderungen der faktischen Verhältnisse führen, weshalb sich eine laufende Überprüfung der vertraglichen Grundlagen empfiehlt.

Wem schuldet der Arbeitnehmer die arbeitsvertragliche Treuepflicht?

Die Treuepflicht des Arbeitnehmenden ergibt sich aus Art. 321a OR und stellt das Korrelat zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dar. Prinzipiell wird davon ausgegangen, dass nur der vertragliche Arbeitgeber aus der Treuepflicht berechtigt ist. In der Lehre wird allerdings die Ansicht vertreten, dass auch die Interessen der Konzerngesellschaft unter diese Treuepflicht fallen, soweit sich diese auch auf das Wohlergehen der Arbeitgeberin positiv auswirken. Stehen sich die Interessen des Konzerns und die Interessen des Arbeitgebers, d.h. derjenigen Konzerngesellschaft, mit welcher ein Arbeitsverhältnis besteht, diametral entgegen, so gehen diejenigen des Arbeitgebers vor.[9]

Die Aktivlegitimation bezüglich Ansprüchen aus der Treuepflicht steht zwar im Grundsatz dem Arbeitgeber zu. Allerdings hat das Bundesgericht festgehalten, dass eine Delegation von Rechten aus dem Arbeitsvertrag möglich ist.[10] Dies bedeutet, dass auch gewisse Aspekte der Treuepflicht innerhalb des Konzerns delegiert werden können.

Besondere Fragen stellen sich, wenn eine Person innerhalb des Konzerns als Arbeitnehmer angestellt ist und bei einer anderen Konzerngesellschaft eine Organfunktion ausübt. Grundsätzlich gelten in solchen Fällen die arbeitsvertragliche und die gesellschaftsrechte Treuepflicht nebeneinander. Eine Haftung gegenüber der einen Gesellschaft ist in diesem Fall nicht ausgeschlossen, weshalb in derartigen Konstellationen die Regelung des Umgangs mit Interessenkonflikten sinnvollerweise im Arbeitsvertrages erfolgen sollte.[11]

Wer ist Träger des Weisungsrechts?

Nach Bestimmung der Arbeitgeberstellung stellt sich die Frage, wer gegenüber dem Arbeitnehmer weisungsbefugt ist. Gemäss Art. 321d Abs. 1 OR ist der Weisungsträger der Arbeitsgeber. Grundsätzlich obliegt das Weisungsrecht auch bei Konzernstrukturen nur der anstellenden Konzerngesellschaft.[12] Im Arbeitsalltag tritt allerdings eine Delegation sehr häufig auf: Bei der Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse tritt der Arbeitgeber als juristische Person auf, welche allerdings selbst nicht vom Weisungsrecht Gebrauch machen kann. So werden im Namen der juristischen Person Weisungen von natürlichen Personen, beispielsweise einem direkten Vorgesetzten des betroffenen Arbeitnehmers, erteilt. Gestützt auf eine vertragliche Grundlage kann aber auch eine Delegation des Weisungsrechts innerhalb des Konzerns erfolgen.[13]

Daher ist für die Frage nach der Berechtigung zur Erteilung von Weisungen primär die vertragliche Ausgestaltung zu betrachten. Wenn nicht die Konzernmutter (sondern die Tochtergesellschaft) aufgrund des Arbeitsvertrags berechtigt ist, Weisungen zu erteilen, kann ein Arbeitnehmer aufgrund der Missachtung solcher Weisungen nicht fristlos gekündigt werden.[14] Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich hierbei um eine ungerechtfertigte fristlose Kündigung.[15]

Wer ist berechtigt in einem Konzern die Kündigung gültig auszusprechen?

Die Kündigungsfreiheit wird im Schweizer Arbeitsrecht grossgeschrieben. In zeitlicher und sachlicher Hinsicht sind dem Kündigungsrecht allerdings Grenzen gesetzt, d.h. die Kündigungsfristen müssen mit Ausnahme der fristlosen Kündigung eingehalten werden. Der Kündigung dürfen zudem keine missbräuchlichen Gründe zugrunde liegen.[16]

Zentral für deren Gültigkeit ist allerdings, dass die Kündigung von der korrekten Rechtseinheit ausgesprochen wird. In einem Konzern kann nur die aus dem Arbeitsvertrag berechtigte Arbeitgeberin gegenüber einem Arbeitnehmer die Kündigung aussprechen. Die für die Muttergesellschaft zuständige, handelnde Person kann einen Arbeitsvertrag, welcher von einem Arbeitnehmer mit einer Tochtergesellschaft geschlossen wurde, daher nicht rechtsgültig auflösen. Demgegenüber kann nur die Muttergesellschaft die Kündigung gültig aussprechen, wenn der Arbeitsvertrag mit dieser abgeschlossen wurde. In zeitlicher Hinsicht ist denn auch derjenige Zeitpunkt relevant, in dem die richtige Gesellschaft die Kündigung ausgesprochen hat.[17]

Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Kündigung können sich auch dann ergeben, wenn der Arbeitnehmer gleichzeitig noch in einer Organstellung im Unternehmen tätig ist. Bei ersterem richtig sich die Kündigung nach arbeitsvertraglichen, bei letzterem nach gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen.[18] Beim Organ spricht man denn auch von einer Abberufung und häufig ist eine andere Hierarchiestufe zuständig als für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen. Auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Direktionsmitglied kann an einen direkten Vorgesetzten delegiert werden. Die Kündigung muss nicht zwingend vom Verwaltungsrat ausgesprochen werden.[19]

Unsere Empfehlung

Bei Arbeitsverhältnissen im Konzern ist auf die arbeitsvertragliche Ausgestaltung ein besonderes Augenmerk zu legen. Dadurch wird meist die Arbeitgeberstellung vorgegeben, womit verschiedene Rechte des Arbeitgebers wie das Weisungs- oder Kündigungsrecht verbunden sind. Eine Kündigung, welche beispielsweise von einer falschen Person ausgesprochen wird, ist nicht rechtsgültig und kann ein Unternehmen teuer zu stehen kommen. Gerne unterstützt Sie unser Arbeitsrecht-Team bei Fragen zur Vertragsgestaltung im Konzern.

Dieser Beitrag entstand unter Mitarbeit unserer Kurzpraktikantin, Frau Elisa Bruckbauer – herzlichen Dank!

 

 

[1] Hischier Roger, Die Arbeitgeberstellung bei internationalen Mitarbeitereinsätzen im Konzern, ArbR 2016, S. 49 ff., 50.

[2] Heiz Roman, Das Arbeitsverhältnis im Konzern, Zürich - Basel - Genf 2004, S. 8.

[3] Wüest Jonas, Haftung von Arbeitnehmenden im Konzern, Zürich/St. Gallen 2019, S. 19.

[4] Müller Roland, Kapitel 3 Arbeit im Konzern / I. - II., in: Portmann Wolfgang/von Kaenel Adrian (Hrsg.), Fachhandbuch Arbeitsrecht, Expertenwissen für die Praxis , Zürich - Basel - Genf 2018, S. 50; Wüest Jonas, Haftung von Arbeitnehmenden im Konzern, Zürich/St. Gallen 2019, S. 13;

[5] BGE 113 II 31, E. 2b.

[6] Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung: Urteil des Bundesgerichts 4C.158/2002 vom 20. August 2002.

[7] Müller Roland, Kapitel 3 Arbeit im Konzern / I. - II., in: Portmann Wolfgang/von Kaenel Adrian (Hrsg.), Fachhandbuch Arbeitsrecht, Expertenwissen für die Praxis , Zürich - Basel - Genf 2018, S. 52.

[8] Wüest Jonas, Haftung von Arbeitnehmenden im Konzern, Zürich/St. Gallen 2019, S. 19.

[9] Streiff Ullin/von Kaenel Adrian/Rudolph Roger, in: Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Aufl., Zürich - Basel - Genf 2012, Art. 321a.

[10] BGE 4C.95/2004 vom 28.6.2004, E. 3.2.2.

[11] Geiser Thomas/Uhlig Kai-Peter, Arbeitsverhältnisse im Konzern, ZBJV 139/2003 S. 757 ff., 785.

[12] Wüest Jonas, Haftung von Arbeitnehmenden im Konzern, Zürich/St. Gallen 2019, S. 113.

[13] Geiser Thomas/Uhlig Kai-Peter, Arbeitsverhältnisse im Konzern, ZBJV 139/2003 S. 757 ff., 787 f.

[14] Geiser Thomas, Arbeitsrecht im Konzern, AJP 2020 S. 1512 ff., 1517.

[15] BGer, 4C.158/2002, 20.8.2002, E. 3.2 f.

[16] Geiser Thomas, Arbeitsrecht im Konzern, AJP 2020 S. 1512 ff., 1519.

[17] Geiser Thomas, Arbeitsrecht im Konzern, AJP 2020 S. 1512 ff., 1519.

[18] Heiz Roman, Das Arbeitsverhältnis im Konzern, Zürich - Basel - Genf 2004, S. 27.

[19] Geiser Thomas/Uhlig Kai-Peter, Arbeitsverhältnisse im Konzern, ZBJV 139/2003 S. 757 ff., 788.